Am 21. Mai 2021 haben am ersten Aktionstag des „Strike for Future“ über 30’000 Menschen in der Schweiz zusammen demonstriert. Gewerkschaften und NGOs haben sich mit sozialen Bewegungen, wie dem Klimastreik oder dem feministischen Streik, vereint und forderten gemeinsam eine ökologische und soziale Zukunft. Startschuss für den nächsten grossen Aktionstag unter dem Thema „Arbeitszeitverkürzung“ ist der 9. April. Es ist spannend, dass die Vision einer sozialen, ökologischen und feministischen Gesellschaft für das Organisationskomitee ausgerechnet mit der Arbeitszeitverkürzung beginnt.
Muss sich unsere Schweizer Gewerkschaftsbewegung spätestens jetzt dem Strike for Future anschließen und bei diesem Aktionstag mitwirken? Allein durch das Wort „Streik“ sollte doch bei jeder Gewerkschafterin und jedem Gewerkschafter die die Aufmerksamkeit geweckt sein. Hier wird zwar kein Arbeitskampf im klassischen Sinn vorbereitet, aber eine kämpferische Haltung demonstriert, um die eigenen politischen und ökologischen Forderungen durchzusetzen. Für die Gewerkschaften sollte diese Bewegung nicht nebensächlich sein. Die Forderung nach einer Arbeitszeitverkürzung war während ihrer 150-jährigen Geschichte immer eine Kernforderung der ArbeiterInnenbewegung und der Gewerkschaften.
Im Zuge des neoliberalen Umbaus in Europa (Erhöhung vom Rentenalter, schrittweise Lockerung der gesetzlich verankerten Arbeitszeiten, usw.) verschwand die Forderung nach einer Verkürzung der Erwerbsarbeitszeit in den letzten Jahrzehnten mehr und mehr aus den öffentlichen Diskursen. Jedoch hat sich das Blatt zuletzt wieder gewendet und Arbeitszeitverkürzungen werden mittlerweile in vielen Unternehmen und Ländern wieder diskutiert und sogar eingeführt. Zum Beispiel sind es Länder wie Island, die mit einer Viertage-Woche in 35 Stunden und bei vollem Lohn voranschreiten oder wie Spanien, wo mit einem Modelprojekt ca. 200 Unternehmen finanziell dabei unterstützt werden, die Arbeitszeit ihrer Angestellten auf 32 Stunden in einer vier Tage-Woche zu reduzieren.
Jetzt haben wir auch in der Schweiz diese Diskussion, aber leider noch viel zu leise und mit zu wenig Aussagekraft. Auch aufgrund dessen hat sich der Strike For Future für den nächsten Aktionstag am 9. April der Verkürzung der Erwerbsarbeitszeit als Thema angenommen. Die Arbeitszeitverkürzung ist für uns alle aus verschiedenen Perspektiven sinnvoll: Einerseits wird so der Stress der Arbeitnehmenden verringert und sie haben mehr Zeit für andere Dinge. Andererseits kann Care-Arbeit, die heute meist auf weiblich sozialisierten Personen lastet, besser aufgeteilt und wertgeschätzt werden. Außerdem sinken dabei auch die Emissionen und die Arbeitsbedingungen in Niedriglohnberufen werden ebenfalls verbessert.
Der britische Film von Ken Loach „Sorry We Missed You“ (2019) verdeutlich in welcher Arbeitswelt wir mittlerweile Leben. Im Film werden die Schwierigkeiten eines Paketboten und einer Pflegerin aufgezeigt, die im System der „Null-Stunden-Verträge“ arbeiten (Franchise: keine festen Arbeitszeiten, Bezahlung nach Leistung). Der Traum von der Freiheit sein eigener Chef zu sein, wird als eine neoliberale Farce entlarvt.
Ich bin als Gewerkschaftssekretär für den Logistikbereich zuständig und sehe wie die Arbeitsbelastung zunimmt und das Zustellpersonal des Öfteren die Höchstarbeitszeiten erreicht. In ihrer Freizeit fehlt ihnen dann oftmals die Kraft, um mit Familie oder Freunden etwas zu unternehmen. Eine Arbeitszeitverkürzung wäre also ein wichtiger Schritt hin zu einer sozialen und ökologischen Gesellschaft. Lasst uns die Gewerkschaften der Zukunft sein und darum diesen Aktionstag am 9.4. fett in unsere Agenda schreiben!
Senol Kilic - Gewerkschaftssekretär syndicom