Radikal – sogar Tamedia selbst versuchte dieses Mal die Dimensionen ihres Abbaus gar nicht erst kleinzureden. Mit der neuen Strategie will das Unternehmen über 290 Vollzeitstellen abbauen und zwei ihrer drei Druckzentren komplett schliessen. Dabei hat Tamedia in den letzten 15 Jahren über 2’200 Millionen Franken Gewinn erwirtschaftet und davon über 670 Millionen Franken als Dividenden ausbezahlt. Der Stellenabbau geschieht aus der Logik einer digitalen Zukunftsstrategie, von der nicht einmal Tamedia weiss, ob sie denn auch tatsächlich funktionieren wird.
Für die betroffenen Mitarbeitenden ist es ein Schock und ein Hohn. Sie bezahlen den Preis für eine Strategie, die ohne Rücksicht auf Verlust umgesetzt wird. Ein Unternehmen wie Tamedia hat keine wirtschaftliche Not und könnte all seine Mitarbeitenden auf dem Weg in die Zukunft mitnehmen. Es ist allein die Profitgier, die so radikale Einschnitte bedingt. Doch nicht nur gegenüber den Mitarbeitenden fehlt die soziale Verantwortung. Es fehlt auch die gesellschaftliche Verantwortung, die man als grösster Verleger der Schweiz innehat.
Die komplette Schliessung von zwei Druckzentren führt dazu, dass gedruckte Zeitungen einen Schritt weiter an den Abgrund gedrängt werden. Die Druckslots in der Nacht, so spät wie möglich, damit die Zeitung am Morgen druckfrisch im Briefkasten liegt, sind begrenzt. Wenn Tamedia hier argumentiert, dass ihre Druckzentren nicht zu 100% ausgelastet seien, ist das etwa vergleichbar mit dem Energiebetreiber, der seine Solaranlage schliessen will, weil in der Nacht die Sonne nicht scheint. Es ist ein Fakt, dass auch in der einzigen verbleibenden Druckerei in Bern jede Maschine in der Nacht nur einen Auftrag auf einmal drucken kann. In der Folge wird der Redaktionsschluss für viele Zeitungen unweigerlich nach vorne verschoben. Wie in einer sich selbsterfüllenden Prophezeiung wird das dazu führen, dass die gedruckte Version der Zeitung noch weniger aktuelle News enthält und dementsprechend die Nachfrage danach sinkt. Somit wird ihre Auflage unweigerlich weiter abnehmen. Das wird den nackten Zahlen von Tamedia recht geben: Dass Print eben wirklich tot sei und der Schritt daher richtig war.
Doch es gibt einen Haken in der Zahlenlogik Tamedias: Die Rolle der Medien in einer direkten Demokratie wie der Schweiz ist es, aufbereitete Informationen an die Leser:innenschaft zu liefern und nicht einfach nur Rendite zu erwirtschaften. Sie bilden einen zuverlässigen Gegenpol zu Fake-News im Internet.
Der Staat hat den Medienhäusern die Aufgabe überlassen, Informationen für die Gesellschaft aufzubereiten und möglichst weit zu verbreiten. Wenn jene die Aufgabe aber je länger, je mehr nicht mehr wahrnehmen, muss die Gesellschaft andere Lösungen suchen. Das Verschwinden der gedruckten Versionen der öffentlichen Anzeiger zeigt auf, was passiert, wenn Informationen nicht mehr aktiv zugestellt werden und es jeder Person selbst überlassen wird, sich die Informationen zu suchen. Die langfristigen Auswirkungen kennt aktuell noch niemand. Positiv auf die Involvierung der Bevölkerung an lokalen Entscheidungen wird sie sich jedoch kaum auswirken.
Auch das Abstimmungsbüchlein ist ein Beispiel, wie Informationen in der direkten Demokratie aufbereitet und zur Verfügung gestellt werden können. Dass es nicht reicht, nur dann informiert zu werden, wenn man abstimmen muss, ist logisch. Daher kann ich mir gut vorstellen, dass auch in einem zukünftigen Journalismus Print wieder eine wichtigere Rolle spielen könnte. Dieser zukünftige Journalismus muss klar Teil des Service public sein. Mit der Schliessung der Produktionsanlagen zerstört Tamedia aber gerade die Infrastruktur, welche die Politik für eine wirklich nachhaltige Medienstrategie bald schon brauchen könnte.
Michael Moser, Zentralsekretär Medien bei der Gewerkschaft Syndicom