«Wir alle können einen Beitrag gegen tiefe Frauenlöhne leisten»

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Gewerkschaftliche Gedanken zum «Mindestlohn-Kompromiss»

Immer wieder denke ich an den 14. Juni 2019 zurück. Damals war ich Gewerkschaftssekretärin bei der Unia in Zürich und aktiv am Frauenstreik dabei. Gemeinsam mit meinen Kolleginnen unterstützte ich an diesem Tag die Frauen aus der Reinigung. Ana Lucia, Mari und Beatrice, drei der Reinigerinnen, die bei der Unia aktiv sind, kamen nach der grossen Demonstration auf die Bühne beim Helvetiaplatz. Sie erzählten an der Abschlusskundgebung über ihre Arbeitsbedingungen in angesehenen Zürcher Hotels. Die Reinigerinnen sprachen auch über rassistische Diskriminierung und sexuelle Belästigung, die sie in ihrem Alltag am Arbeitsplatz erleben. Tausende Menschen hörten den Frauen zu, als sie vom steigenden Druck berichteten, dem sie ausgesetzt sind und dass sie immer mehr Hotelzimmer in immer kürzerer Zeit putzen müssen.

Der Frauenstreik sorgte 2019 dafür, dass die Gleichstellungsthematik in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist. Mir als Gewerkschafterin reicht das aber noch nicht. Erkennbar veränderte sich seitdem viel zu wenig für die Frauen. Die Lohnschere zwischen Frauen und Männern ist in den letzten Jahren weiter aufgegangen und immer noch sind es die Frauen, die weniger Lohn und tiefere Renten haben. Auch für die Frauen in der Hotelreinigung verbesserte sich noch zu wenig. Obwohl die Gäste zum Teil über 500 Franken für eine Nacht im Hotel bezahlen, bleibt bei jenen, die ihre Zimmer bereit machen und sauber halten, nicht einmal 20 Franken Stundenlohn. So tiefe Löhne gibt es nicht nur in der Hotelreinigung. Vielen anderen Frauen in typischen Frauenberufen wie etwa im Verkauf, im Coiffeursalon oder in der Betreuung geht es ähnlich. Zwei Drittel aller Menschen, die in der Stadt Zürich in Tieflohnberufen arbeiten, sind Frauen, viele davon mit Migrationshintergrund. Sie kommen bei einem 100% Pensum nicht einmal auf 4’000 Franken Lohn. Mit 4’000 Franken in einer so teuren Stadt wie Zürich zu leben, ist schwierig, besonders aktuell bei den steigenden Mietzinsen und Krankenhausprämien. Viele Frauen benötigen deshalb mehrere Jobs, um über die Runden zu kommen. Mit mehreren Jobs zu jonglieren und das mit einem Familienleben zu vereinbaren, stellt die betroffenen Frauen vor grosse Herausforderungen. Dieses Jahr können wir alle einen wesentlichen Beitrag gegen die tiefen Frauenlöhne leisten. Am 18. Juni, vier Tage nach dem Frauenstreik 2023, entscheiden die Stimmbürger:innen über die Einführung eines Mindestlohns in der Stadt Zürich. Nimmt das Stimmvolk den Vorschlag für einen Mindestlohn an, müssen alle mindestens 23.90 Franken pro Stunde verdienen. Das ist nicht viel Geld, aber es würde für die Betroffenen einen spürbaren Unterschied ausmachen. Für über 10’000 Frauen in Zürich würde das bedeuten, dass sie nicht mehr jeden Monat Angst haben müssen, ihre Rechnungen nicht bezahlen zu können, dass sie nicht mehr bei unvorhersehbaren Ausgaben schlaflose Nächte haben müssen und dass sie sich auch mal mit den Kindern ein Glace oder einen Kinobesuch leisten können.

Als Gewerkschafterin weiss ich: Die Ungleichheit zwischen Frauen und Männern ist auch eine ökonomische Ungleichheit, tiefe Löhne sind ein Frauenproblem. Die Forderung nach einem anständigen Lohn für Frauenarbeit ist so alt wie die Gewerkschaftsbewegung und steht zu Recht im Zentrum unzähliger feministischer Mobilisierungen. Am 18. Juni können wir mit der Einführung eines städtischen Mindestlohns einen Schritt in die richtige Richtung machen, der die Lebensqualität von Frauen in Zürich ganz konkret verbessern wird. Sorgen wir dieses Jahr dafür, dass den Forderungen der Frauen am Frauenstreik endlich Taten folgen und stimmen wir für einen Mindestlohn in der Stadt Zürich ab!

Violeta Ruoss, Co-Leiterin der Unia Zürich-Schaffhausen

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